Der Gegenwille ­- Weshalb Kinder “NEIN!” sagen.

Gegenwille, AusschnittKennen Sie das: Nach Ihrem Einkauf im Supermarkt stellen Sie sich in der Reihe der anderen Kunden an und warten geduldig, bis Sie an der Reihe sind. Inzwischen hat sich ein weiterer Kunde hinter Ihnen angestellt, und schon bald spüren Sie, wie der Einkaufswagen hinter Ihnen immer wieder in Ihren Rücken drückt. Es wird nicht allzu lange dauern, bis Sie sich umdrehen und Ihrem Peiniger einen vorwurfsvollen Blick zuwerfen, sehr wahrscheinlich in Verbindung mit einer leicht genervten Äusserung.

Sie können diese Reaktion kaum unterdrücken ­- es ist ein tief in uns verankerter Reflex. Wir mögen es nicht, wenn jemand Druck auf uns ausübt.

Was Ihnen in jenem Moment widerfahren ist, wurde zum ersten Mal vom Wiener Psychoanalytiker und Freud­-Schüler Otto Rank beschrieben. Er nannte diese unbewusste aber sehr mächtige Kraft den Gegenwillen. Obwohl dies nun bereits mehr als hundert Jahre her ist, blieb der Begriff des Gegenwillens bis heute weitgehend unbekannt.

 

Anna

Die 4-­jährige Anna verhält sich in letzter Zeit sehr widerwillig ihren Eltern gegenüber. Beide Eltern sind in der Erziehung ihrer Tochter sehr engagiert und pflegen einen liebevollen Umgang mit ihr. Dennoch sind sie mit ihrem heftigen Widerstand überfordert. Was sie auch sagen, Anna antwortet fast immer mit einem lauten „NEIN!“ oder sie dreht sich um und läuft davon.

Die Eltern fangen an, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen: Sie meint, er sei zu streng, er erwidert, sie sei zu lasch. Frustration machte sich breit.

Eine häufige Reaktion von Erwachsenen gegenüber Widerstand ist, dass wir unsere Anweisung noch heftiger äussern, lauter und drohender werden. Dadurch verschlimmert sich die Situation, und nicht selten sagt oder tut man Dinge, die man kurz darauf bereut.

 

Woher kommt dieser Widerstand des Kindes?

Je besser wir die Ursache für dieses Verhalten verstehen, desto einfacher wird es, diese Dynamik in eine positive Richtung zu steuern.

Häufig kommt es den Eltern so vor, als ob ihr Kind einen starken Willen hätte und versuchen würde, sie mit ihrem Verhalten zu manipulieren. Dieses Verhalten hat aber damit nichts zu tun. Es ist ein Reflex – eine Form des Widerstandes den man als Gegenwillen bezeichnet.

Otto Rank beschrieb den Gegenwillen als einen Instinkt, der dann in Erscheinung tritt, wenn jemand anderes versucht, Sie zu einer bestimmten Handlung zu zwingen.

 

Gegenwille und Bindung

Gordon Neufeld zeigt auf, dass der Gegenwille ein natürlicher, gesunder Impuls ist, welcher zwei wichtige Aufgaben erfüllt:

Einerseits schützt es das Kind vor äusseren Einflüssen. Es wehrt sich instinktiv gegen Anweisungen von Fremden (und steigt deshalb z.B. nicht einfach so zu Fremden ins Auto).

Ebenso erfüllt der Gegenwille die sich im Laufe der Zeit entwickelnde Individualität des Kindes.

Wenn wir beginnen, den Zweck des Gegenwillens zu verstehen, wird es uns leichter fallen, mit Widerstand angemessen umzugehen.

Aus der Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung wissen wir, dass die Bindung zwischen Eltern und Kind der wichtigste Faktor in der Entwicklung des Kindes und seines Verhaltens ist. Wenn Kinder in einer tiefen und bedeutungsvollen Weise gebunden sind, haben sie von sich aus den Wunsch, der Führung ihrer Eltern zu folgen.

Da es normal ist, dass die Bindung vom Kind zu den Eltern nicht immer ‚aktiviert‘ ist, kann ein widerwilliges Verhalten immer wieder auftreten. Da wir primär Bindungswesen sind, ist in diesen Momenten das Kind an etwas oder jemand anderen gebunden. Dies kann ein Spielzeug sein, ein Bilderbuch oder die Spielkameraden.

Da Ihr Kind nicht dazu bestimmt ist, von jemandem Anweisungen anzunehmen, an den es im Moment nicht gebunden ist, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass Sie den Gegenwillen im Kind auslösen.

Dies kann für Eltern sehr irritierend sein, da sie ja eigentlich eine sehr gute Beziehung zu ihrem Kind haben und es ihnen normalerweise auch folgt.

Wenn also Anna im Moment sehr an ihre Spielzeuge gebunden ist, etwas, was bei 4­-jährigen sehr häufig zu beobachten ist, so wird sie den Aufforderungen ihrer Eltern vermutlich nur wenig Folge leisten. Das heisst nicht, dass sie ihre Eltern nicht mehr liebt oder sonst nicht gut an sie gebunden ist. Es heisst bloss, dass sie in diesem Moment woanders gebunden ist.

 

Reifung und Individualisierung

Der Gegenwille hilft dem Kind, sich selber zu werden, indem es sich darin übt, eigene Gedanken und Gefühle zu haben.

Zu manchen Zeiten, z.B. im Kindergartenalter, werden Sie häufiger mit ungebremstem Gegenwillen konfrontiert. Dies hat mit der Entwicklung des noch jungen Gehirns des Kindes zu tun. Der Teil des Gehirns, welcher die sich widersprechende Gedanken und Gefühle ausgleicht und ihnen dabei hilft, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, bildet sich erst später (Präfrontaler Kortex). Bis zum Alter von 7-8 Jahren sind Kinder nicht in der Lage, widersprechende Gefühle und Gedanken zu haben. Ihr Bindungsverhalten ist sehr polar: Wenn das Kind an dies oder jenes gebunden bin, sträubt es sich unbewusst gegen konkurrierende Bindungen. Dies verstärkt den Gegenwillen, da das Kind sich noch nicht auf zwei Bindungen (Spielzeug und Mutter) gleichzeitig einlassen kann.

Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget hat schon früh auf diese eingeschränkte Wahrnehmung des Kindes hingewiesen.

Auch während der Pubertät zeigt sich der Gegenwille sehr stark. In dieser Lebensphase ist er aus entwicklungspsychologischer Sicht angemessen, denn die Adoleszenz sollte u.a. eine Zeit des schwindenden (aber nicht fehlenden) Einflusses der Eltern sein. Der Gegenwille hilft dem Jugendlichen, den Raum zu bekommen, den er braucht, um herauszufinden, wer er als Individuum wirklich ist.

 

Der Schlüssel zum Umgang mit Gegenwillen

Wie oben beschrieben, ist der Gegenwille eine durchaus sinnvolle Strategie. Ihn komplett unterbinden zu wollen, macht keinen Sinn und widerspräche der natürlichen Entwicklung des Kindes.

Dennoch möchte ich nachfolgend ein paar Strategien nennen, die den Widerstand des Kindes verringern und Ihnen helfen, gelassener mit der Situation umzugehen.

 

Nehmen Sie’s nicht persönlich!

Der Widerstand ist nur scheinbar gegen Sie gerichtet. Die Versuchung ist gross, darauf mit Frustration und Aggression zu reagieren. Auch das Wegnehmen von den Dingen, an die das Kind im Moment gebunden ist oder eine auf Trennung basierende Massnahme („Geh auf dein Zimmer!“) wird die Situation nicht verbessern, sondern eher noch verschlimmern.

 

Bindung vor Weisung

Ich empfehle, das Kind immer zu ’sammeln‘, bevor Sie ihm Anweisungen geben. Sammeln bedeutet, dass Sie zuerst mit dem Kind in Beziehung treten, bevor Sie Ihre Anweisung aussprechen. Im Konflikt selber ist dies jedoch oft nicht möglich.

 

Den Konflikt später klären

Viele moderne Erziehungsratgeber empfehlen den Eltern, den Konflikt immer sofort zu klären. Das Kind müsse im Moment des Geschehens die Konsequenzen spüren. Es gehe darum, die elterliche Autorität in jenen Momenten aufrecht zu erhalten.

Tatsache ist aber, dass sowohl Sie wie auch das Kind in solchen Konfliktsituationen emotional sehr geladen sind. Versuchen Sie, gelassen auf den Widerstand zu reagieren. Sorgen Sie dafür, dass niemand und nichts zu Schaden kommt. Lassen Sie den Konflikt ruhen. Kommen Sie erst dann wieder auf den Vorfall zu sprechen, wenn Sie und Ihr Kind in einer guten, entspannten Bindung sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind sich kooperativ zeigen wird, steigt um ein Vielfaches!

 

Den Willen trainieren

Geben Sie Ihrem Kind immer wieder Gelegenheiten, selbständig Entscheidungen zu treffen. Dr. Neufeld nennt dies das ‚kleine Lenkrad‘. Denken Sie an diese Einkaufswagen im Einkaufszentrum, an welchen vorne ein kleines Auto befestigt ist. Ihr Kind bekommt ein Gefühl dafür, wie es ist, über etwas die Kontrolle zu haben. Zum Beispiel könnten Sie dem Kind die Entscheidung übergeben, welches der beiden Gemüsesorten für das Abendessen zubereitet werden sollte. Das Kind bekommt so die Möglichkeit, selber zu entscheiden, ohne dass Sie gegen Ihr Prinzipien verstossen müssen.

Sie mögen einwenden, dass dies alles viel Zeit in Anspruch nimmt. Das mag sein, aber bedenken Sie all die Zeit, die während den nervenaufreibenden Konflikten verloren geht – ganz zu schweigen von den einhergehenden Frustrationen und Gefühlsausbrüchen. Zudem kann sich dadurch die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Kind aufgrund der häufigen Streitereien merklich verschlechtern.

 

Seien Sie vorbereitet!

Es gibt Tageszeiten, an denen der Gegenwille des Kindes schon fast vorprogrammiert ist. Es sind jene Momente der Übergänge: Früh am Morgen nach dem Aufstehen, am Mittag nach der Schule, vor dem Schlafengehen und in jenen Momenten, wo ihr Kind in einer Tätigkeit vertieft ist. Wenn Sie um diese neuralgischen Momente wissen, können Sie sich innerlich darauf vorbereiten und souveräner damit umgehen.

 

Nähren Sie das Bindungsbedürfnis des Kindes

Je besser ein Kind an Sie gebunden ist, desto leichter wird die Erziehung. Schenken Sie Ihrem Kind die Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe, die es von Ihnen braucht. Wenn eine längere Trennung bevorsteht, versuchen Sie diese zu überbrücken, indem Sie z.B. während Ihrer Abwesenheit mehrmals zuhause anrufen.

 

Übernehmen Sie die Führung

Sie sind die Person mit der grösseren Weisheit und Erfahrung. Machen Sie in Bezug auf Ihre Kinder den ersten Schritt und übernehmen Sie die Führung.

 

 

 

 

 

8 Gedanken zu „Der Gegenwille ­- Weshalb Kinder “NEIN!” sagen.

  1. Das kenne ich nur allzu gut von meiner Tochter, dass sie sich mir gegenüber ab und an quergestellt hat. Besonders in der Pubertät war das schlimm. Die Konfliktlösung ist der absolut richtige Weg. Leider fällt es meist schwierig auf diesem zu bleiben. Letztens habe ich ein interessantes Buch über die Entwicklungspsychologie entdeckt, welches auf den ersten Blick recht ansprechend klingt: http://entwicklung-des-menschen.de

  2. hm, das macht das verhalten meiner 5 jährigen schon etwas verständlicher. im moment sagt sie nämlich zu allem nein. egal ob es darum geht, dass wir etwas gemeinsam unternehmen, spielen, essen,…dass sie in diesem momenten an etwas anderes gebunden ist, macht sinn. meistens spielt sie gerade selbst etwas wenn wir zu ihr kommen und etwa sagen “ komm, wir gehen jetzt dort hin.“ reicht es dann tatsächlich (zumindest meistens) wenn ich mich vielleicht erst zu ihr setze und mit ihr spiele um eine bindung zwischen ihr und mir (und nicht mehr sie und spielzeug) zu entwickeln und nach ein paar minuten sage, dass wir in 5 minuten etwas anderes vorhaben? oder gibt´s vielleicht noch einen anderen tipp? ich will sie nicht jedesmal dazu nötigen, in den park zu gehen oder eislaufen oder sonst was. ich würde das ja auch nicht wollen.

  3. Liebe Frau Urban

    Vielen Dank für Ihren Kommentar!
    Ob das von Ihnen beschriebene Vorgehen ausreichen wird, Ihre Tochter zum Mitkommen zu bewegen, wird sich zeigen. Ein Versuch lohnt sich allemal. Die Erfahrungen, welche meine Frau und ich während den letzten Jahren mit diesem im Vorfeld getätigten Bindungsaufbau gemacht haben, waren fast immer positiv.
    Eine weitere Herangehensweise wäre, das Kind lange vorher über die Unternehmung zu informieren. Im Alter von fünf Jahren ist dies durchaus möglich und sinnvoll. So könnten Sie z.B. am Vortag, vor dem Zubettgehen oder gleichentags während des Frühstücks das Kind über Ihre Pläne ins Bild setzen.
    Es ist aber auch durchaus möglich, dass Ihr Kind genau heute überhaupt keine Lust hat auf den Ausflug in den Park, auch wenn dies normalerweise grosse Begeisterung auslöst. Wir sollten als Erziehende immer wieder die Flexibilität aufbringen, unsere gutgemeinten Planungen über Bord zu werfen. Wir gehen ja dem Kind zuliebe in den Park, nicht wegen uns. Natürlich gilt dies nicht für Unternehmungen, die unvermeidbar sind: ein Arztbesuch, ein Besuch bei den Verwandten, der Kinderkarten, etc.
    Mit herzlichem Gruss, Michael Miedaner

  4. Alles schön und gut, aber wenn egal ob vorbereitet, angekündigt, lange davor oder kurz davor, kurz mitspielen oder rausreissen…wenn einfach alles nicht geht, was macht man dann? Wir sind grad an dem Punkt mit unserer 4jährigen Tochter, wo wir nicht weiterwissen. Beim Papa klappt der Laden, ausser ab und an altersgerechte Rangeleien, die aber beiweiten milder ablaufen als bei Mama, aber seit einem guten Jahr wird die Mama mehr und mehr gekonnt ignoriert oder ihre Wünsche und Ansagen übergangen. Die Kleine läuft weg, was mich jedesmal wieder auf die Palme bringt, hat sogar diebische Freude daran, es mal wieder geschafft zu haben, der Mama weggelaufen und sie somit geärgert zu haben. Reden hilft nicht! Sich nicht provozieren lassen und hinerher reden läuft auf ein okay raus, und trotzdem wirds gemacht. Hilft auch nicht. Sich stoisch durchzusetzen und sie an die Hand zu nehmen (wenn man sich dann erst zum Affen gemacht hat und die Ladenstrasse mal wieder zwischen den Leuten hinter ihr hergerannt ist und sich zum Gespött der Strase gemacht hat! – was für mich sehr peinlich ist, und mich daher noch mehr ärgert, denn sie weiss das!) und sie fest am Arm zu halten, denn sie will sich natürlich losreissen, und einfach ruhig und unprovoziet seines Weges zurück zur Eingangstür der Wohnugn zu gehen, interessiert sie nicht. Sie auch mal anbrüllen und damit erschrecken oder ärgerlich anfauchen, um ihr klarzumachen, das das KEIN Spass ist, quittiert sie mit lauthalsem Geschrei 3 Oktaven höher, um noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und tut so oder sagt auch, dass ich ihr wehtun würde. Ich tu meinem Kind aber defintiv nicht weh, halte sie nur so, dass sie eben nicht wieder entwischen kann. Schimpfen, ins Zimmer schicken, reden, Versprechen abringen, lieb sein und bitten und mit einem lieben Drück die Diskussion beenden…alles hilft nichts. Sie quittiert alles was ich vorschlage oder von ihr verlange, ob etwas für sie oder weil wir nun wohin müssen etc. mit einem Nein oder mit Geschrei und Getrampel, wenn ich sie dann dazu dränge, weil man eben nach 10min die Schue mal rankriegen sollte etc. und es mal was nicht nach ihrem Kopf geht. Meine Konsequenz es immer alles doch mit einem lauthals brüllenden Kind neben mir dann durchzuziehen geht mir mittlerweile schon selbst auf die Nerven, muss ich gestehen. Aber nen andren Ratschlag scheint es in der Erziehungswelt nirgends zu geben…überall liest man konsequent sein ist DIE Lösung, also bei ihr nicht!!! Was kann man denn noch tun? Hören tut sie perfekt, mit den Ohren hat sie es nichts! Sie ist bilingual in englisch und deutsch unterwegs, schreibt ihren Namen, zählt bis 20 in 2 Sprachen und fängt gerade das rechnen an…so 1 und 1 ergibt 2 Bananen auf dem Tisch und sowas letztens (wo es mich umhaut und ich sehr stolz auf sie bin, und ihr das auch sage!)…all das, aber hören ist nicht drin, sogar immer noch einen extra drauf von dem was gerade verboten wurde – ich bin es so leid, sie auszuschimpfen und anmeckern zu müssen und ehrlich gesagt verzweifelt. Denn Vattern sagts und sie macht es, mault vielleicht mal ein wenig herum (naja, soll se ja), aber kein lauthals Gebrüll über den ganzen Ort wie wenn ich sie abschlachte nur weil ich was (angebrachtes!) verlange und durchsetze…und wir Eltern haben ansonsten eine harmonische Beziehung und ein glückliches Heim… Haben Sie einen Rat?

    • Liebe Frau G.

      Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar!

      Wir haben auch eine 4-jährige Tochter, und es gibt Phasen, die sehr nahe an die von Ihnen beschriebenen Situationen herankommen. In solchen Momenten zweifeln auch wir immer wieder mal an unserer Erziehungskompetenz!

      Die folgende Aussage mag Ihnen im Moment kaum eine konkrete Hilfe sein. Dennoch: Es ist wichtig, zu verstehen, dass das Verhalten Ihrer Tochter nicht aussergewöhnlich ist und in diesem Alter, mehr oder weniger vehement, recht häufig vorkommt.
      So wie Sie es beschreiben, machen Sie eigentlich alles richtig. Die emotionalen Reaktionen Ihrerseits, wenn Ihnen der letzte Geduldsfaden gerissen ist, sind normal und menschlich. Auch unsere Geduld wird immer wieder von Neuem auf die Probe gestellt!

      Eine weitere Aussage, die Sie bestimmt auch schon oft gehört und gelesen haben: Es geht vorbei! Ich weiss, dass dieses Wissen in der Hitze des Gefechts wenig hilfreich ist. Wenn man sich dies in einer ruhigen Minute immer wieder in Erinnerung ruft, so kann es helfen, die oft unerträglichen Situationen ein wenig zu relativieren.

      Die gute Nachricht: Zur Zeit hat Ihr Mann einen guten Draht zu Ihrer Tochter. Arbeiten Sie mit dem Kind über die funktionierende Bindung. Wenn Ihr Mann die Möglichkeit hat, mehr Zeit mit Ihrer Tochter zu verbringen, zu zweit irgendwas zu unternehmen, vielleicht sogar zusammen ein Wochenende Zelten zu gehen, so werden sich schon bald drei positive Veränderungen bemerkbar machen: Der zur Zeit emotional sehr aufgeladene Teufelskreis zwischen Ihnen und Ihrer Tochter wird aufgebrochen. Sie haben persönlich die Möglichkeit, mal wieder ein paar entspannte Stunden oder sogar Tage für sich zu haben, um nach all den herausfordernden und stressbeladenen Konflikten wieder Abstand zu gewinnen und neue Kraft zu tanken. Und zuguterletzt wird sich auch Ihre Tochter entspannen, Aggressionen und Widerstände abbauen.
      Während dieser Zeit sollte Ihr Mann einfach eine tolle und entspannte Zeit mit Ihrer Tochter verbringen. Es ist wenig sinnvoll, in diesem Alter mit ihr das Vorgefallene aufzuarbeiten, zu besprechen und sich gute Vorsätze vorzunehmen. Die dazu benötigte Reife und ihr kognitives Verständnis sind einfach noch zu wenig ausgebildet.

      Kurzum: Überlegen Sie sich zusammen mit Ihrem Mann Strategien, wie Sie diese sehr herausfordernde Zeit so überleben können, dass Sie nicht völlig resignieren und in Ihrer (absolut nachvollziehbaren) Wut und Verzweiflung Dinge sagen oder tun, die Sie später bereuen. Planen Sie Time-Outs und nehmen Sie sich wo immer möglich aus dem Schussfeld. An wen könnten Sie Erziehungsaufgaben delegieren? Wer hat auch noch einen guten Draht zu Ihrer Tochter und hätte Zeit und Lust, Ihnen unter die Arme zu greifen: Grosseltern, Onkel, Tanten, Nachbarn, eine Tagesmutter…
      Auch würde ich mir im Vorfeld überlegen welche Orte Sie in Zukunft vermehrt meiden könnten. Orte, die immer wieder zu grossem Stress führen: Einkaufszentren, Ladenstrassen, der öffentliche Verkehr, … Wieso nicht statt dem täglichen Einkauf nur 1-2 Mal pro Woche, entweder alleine oder mit einer guten Freundin, währenddessen Ihr Mann oder eine der oben genannten Personen Ihre Tochter hütet.
      Wenn die Fahrten im Bus regelmässig ausarten, diese wenn immer möglich auf ein absolutes Minimum reduzieren oder alternative Transportmittel ins Auge fassen …

      All diese Massnahmen sind zeitlich begrenzt. Ich kann Ihnen versichern, dass sich die angespannte Situation irgendwann wieder beruhigen wird. Ihre Tochter wird reifer werden, weniger impulsiv, kooperativer.

      Ich hoffe, dass Sie mit den obigen Ausführungen etwas anfangen können und wünsche Ihnen viel Kraft, Zuversicht, viel Geduld und Gutes Gelingen!

      Herzlich, Michael Miedaner

  5. Hallo, unser Sohn ist nun auch in genau dieser Phase.
    Er ist nicht aggressiv und er schreit auch nicht, aber mit seinem permantem „Nein“ uns gegenüber, ist es schon manchmal nicht einfach. Da wir prinzipiell sehr gelassene Eltern sind, gehen wir damit auch dementsprechend sensibel um. Von unserem Großen (8) wissen wir, dass dieses „Nein“ immer im Zusammenhang mit einer anderen Sache steht, die sich gerade im Kopf der kleinen Kerle ausbreitet. Zähne putzen? Ins Bett gehen? Komm, Schuhe anziehen! Doch, du musst aussteigen und mit rein kommen! etc, sind die Standard-Verneinungen. Klar, ins Bett will kein Kind, man könnte ja noch spielen. Zähne putzen…man könnte ja noch spielen und der Spiderman aus dem Trickfilm war so cool, das muss ich jetzt noch spielen! Mit in den Supermarkt kommen? Nee, ich hab doch gerade auf dem Handy einen Film geguckt und das will ich weiter machen…
    Klar, indirekt weiß man das. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass man nun mal früh zu einem gewissen Zeitpunkt los muss. Auch Verständnis zeigen, geht oft schief. Bei dem Großen klappt das mittlerweile, aber auch nur, weil wir das so konsequent durchgezogen haben. Er mault zwar auch noch rum, aber er sagt, was ihn stört. Der Knirps eben noch nicht und manchmal schimpft man dann auch, wenn gleich das auch nicht der ideale Weg ist, aber man ist ja auch nur ein Mensch und der Geduldsfaden hat auch mal ein Ende. 🙂
    Weg gerannt ist er nur einmal und da hab ich mich so erschrocken dass ich losgerannt bin und ihn zum Glück noch erwioscht hab. Vor Schreck und Erleichterung liefen mir die Tränen und das hat er sofort bemerkt. Er hat von selbst gesagt „Papi, mach ich nicht mehr, alles gut,ja“…und er hat es auch nie wieder getan!
    Aber er haut gern mal zu. Das hat der Große nie gemacht. Ich geh dem aus dem Weg und versuche rauszufinden, warum er haut. Er meint dann immer „weil du böse bist“ und nach 5 min heißt es immer „mein Papi, ich hab dich so lieb“. Ich habe ihn auch noch nie gehauen, außer mal n kleinen Baps auf die Schnute, wenn er am Tisch gerülpst hat nach wiederholtem Ermahnen.
    Erziehung ist nie einfach und alle Theorie ist immer ganz klar gegliedert, aber im Alltag oft schwer umzusetzen.
    „Nein“ geht verbal irgendwann zu Ende, aber emotional wird es immer bleiben, wie bei allen Menschen 🙂

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