Von Mäusen und Menschenkindern

Wenn Elternliebe an Bedingungen geknüpft ist

Skinner „Sag ‚Entschuldigung‘!“
Bestimmt kennen auch Sie Eltern, die ihre Kinder zwingen, sich zu entschuldigen, wenn sie etwas Verletzendes oder Gemeines getan haben. Diese Eltern gehen vermutlich davon aus, dass alleine durch die verordnete Entschuldigung, das Vorgefallene dem Kind wirklich leid tut. Es soll sogar Eltern geben, die es gar nicht interessiert, ob es dem Kind wirklich leid tut. Hauptsache, die Form wird gewahrt – Ehrlichkeit ist unwichtig. Durch diese Art der erzwungenen Entschuldigungen lernen Kinder Dinge zu sagen, die sie gar nicht wirklich meinen – anders gesagt – zu lügen.

Leider ist dies nicht einfach eine selten auftretende Erziehungsstrategie, sondern ein Beispiel von vielen für ein auf das Verhalten des Kindes konzentrierte Steuerung. Heutzutage wird diese Form der Verhaltenssteuerung in fast allen Bereichen der Erziehung bedenkenlos eingesetzt: Sei dies beim alleine Einschlafen oder selbständig aufs Töpfchen gehen, beim höflichen Begrüssen und vorbildlichen sich bedanken. Unterstützt werden diese Strategien  mittels Belohnungen (Sternchen, Smileys, Süssigkeiten, Lob, …) oder Bestrafungen (Auszeiten, Ignorieren, Wegnahme von Spielzeug, …), um  das Kind dazu zu bewegen, das vom Erwachsenen erwünschte Verhalten zu befolgen.

Die Gedanken, Gefühle und Absichten, die dem Verhalten des Kindes zugrunde liegen, interessieren nicht weiter – nur das Verhalten an sich zählt.

Diese von vielen Erziehungsratgebern empfohlene Verhaltenssteuerung setzt auf Kontrolle und vermittelt unseren Kindern, dass sie nur dann geliebt werden, wenn sie uns gefallen oder wenn sie uns beeindrucken. Obwohl diese Methode durchaus den Anschein zu vermitteln mag, dass man dem Kind auf den ‚richtigen‘ Weg hilft, darf nicht ausser acht gelassen werden, welchen Schaden es anrichten kann, wenn sich ein Kind unsere Anerkennung erst „verdienen“ muss.

Doch woher kommt dieser letztendlich für das Kind so schädliche Ansatz?
Vor über 50 Jahren wurde diese Strategie erfolgreich zum Trainieren von Versuchstieren entwickelt. B. F. Skinner, einer der bekanntesten Vertreter des Behaviorismus (to behave = verhalten), bemühte sich beispielsweise Tauben, Nagetieren und Schimpansen beizubringen, als Reaktion auf blinkende Lichter, bestimmte Tasten zu drücken, um an ihr Futter zu gelangen. Nur wenige Jahre später fand diese bei Tieren erfolgreich angewandte Methode bereits Einzug in Erziehungsbücher für Kleinkinder und mauserte sich schon bald zu der am häufigsten empfohlenen Disziplinierungsstrategie.

Es geht also um einen Ansatz, der ursprünglich zur Steuerung von tierischem Verhalten eingesetzt wurde. Diese Vorgehensweise interessiert sich nicht dafür, wie es dem Kind geht, was es fühlt und denkt. Auch das Menschenbild dahinter ist sehr aufschlussreich: Eine Unterscheidung zwischen Mensch und Tier findet nicht statt.

Wollen wir unsere Kinder wirklich mit einer Methode erziehen, die ursprünglich für Tauben, Ratten und Schimpansen entwickelt wurde?!

Behavioristen gehen davon aus, dass sich alles was wir tun dadurch erklären lässt, ob es eine Art Belohnung nach sich zieht. Wenn sich ein Kind seinen Eltern gegenüber liebevoll verhält oder seinen Nachtisch mit seinem Freund teilt, liege das nur daran, dass dies in der Vergangenheit belohnt worden war.

Wenn Eltern und Lehrer ständig über das ’Verhalten’ eines Kindes sprechen, tun sie so, als käme es nur darauf an, was auf der Oberfläche zu sehen ist. Es spielt keine Rolle, was für ein Mensch ein Kind ist, was es denkt oder fühlt oder braucht. Die Motive und Absichten dahinter gehen vergessen: Es kommt nur darauf an, das, was sie tun, zu ändern.

Obwohl diese auf Verhaltenskontrolle basierende Erziehungsmethode durchaus funktioniert, ist der Preis dafür doch erheblich: Erwachsene, die in ihrer Kindheit die Liebe der Eltern nur unter bestimmten Bedingungen erhielten, neigen viel eher dazu, sich abgelehnt zu fühlen und lehnen als Folge davon auch häufig ihre Eltern ab.

Was bewegt uns, etwas Bestimmtes zu tun?
In der Psychologie spricht man von zwei gänzlich unterschiedlichen Arten der Motivation. Man unterscheidet zwischen der intrinsischen und der extrinsischen Motivation. Intrinsische Motivation heisst im Wesentlichen, dass einem das, was man tut, aus sich heraus Freude bereitet. Bei der extrinsischen Motivation tut man etwas, um dafür eine Belohnung zu bekommen oder eine Bestrafung zu vermeiden. Liest das Kind das Buch, weil es vom Inhalt fasziniert ist, oder will es sich einen Aufkleber verdienen?

Das Tragische daran ist, dass die extrinsische Motivation dazu neigt, die intrinsische zu untergraben: Je mehr die extrinsische Motivation steigt, umso mehr sinkt die intrinsische Motivation.
Je mehr jemand dafür belohnt wird, etwas zu tun, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er das Interesse an dem, was er tun musste, um die Belohnung zu bekommen, verliert.

Erziehen nach marktwirtschaftlichen Gesetzen?
Letztlich spiegelt ein an Bedingungen geknüpftes Erziehungskonzept die Tendenz wieder, fast jede Interaktion, sogar zwischen Mitgliedern einer Familie, als eine Art wirtschaftliche Transaktion anzusehen. Die Gesetze des Marktes – Angebot und Nachfrage, wie du mir, so ich dir – haben den Status universeller und absoluter Grundsätze angenommen, als entspräche alles in unserem Leben, einschliesslich unseres Verhaltens gegenüber unseren Kindern, dem Kauf eines Autos oder dem Mieten einer Wohnung.Stephen Beltz, ein Behaviorist und Autor eines Erziehungsratgebers drückt es so aus: ‚Wenn ich mit meinem Kind einen Ausflug machen oder wenn ich es umarmen und küssen möchte, muss ich mir erst sicher sein, dass es das auch verdient hat.‘
Die berühmte Psychologin Diana Baumrind argumentiert ganz ähnlich: ‚Das Gesetz der Wechselseitigkeit, des Bezahlens für einen erhaltenen Wert, ist ein Lebensgesetz, das für uns alle gilt.‘
Carl Rogers hingegen, ein Vertreter der humanistischen Psychologie, antwortete auf die Frage, was mit Kindern geschähe, wenn die Liebe der Eltern davon abhinge, was sie tun, folgendermassen: ‚Die Empfänger einer solchen Liebe, lehnen jene Seiten von sich ab, die nicht geschätzt werden. Schliesslich sehen sie sich selbst nur dann als wertvoll an, wenn sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten (oder entsprechend denken oder fühlen).

 

‚Ein wenig Menschlichkeit ist viel mehr wert als alle Vorschriften der Welt.‘

Jean Piaget

 

Knüpfen Sie die Liebe zu Ihrem Kind nicht an Bedingungen!
Eine bedingungslose Erziehung plädiert dafür, dass die Eltern ein sicherer Hafen, ein Ort der Zuflucht sein sollten. Insbesondere sollte man in keiner Hinsicht für die Liebe seiner Eltern bezahlen müssen. Sie ist schlicht und einfach ein Geschenk. Es ist etwas, worauf alle Kinder ein Anrecht haben.

Es gibt einen Weg, unsere Kinder respektvoll und in Liebe zu begleiten. Ein Weg, der uns in einen tiefen und klaren Kontakt mit unseren Kindern bringt und uns sogar über die Zeit der Pubertät hinaus mit ihnen zu verbinden mag.

Bei einem bedingungslosen Erziehungsansatz sieht man eine schwierige Situation – und Menschen im Allgemeinen – völlig anders. Wir fragen uns, was die Gründe sein könnten für das, was das Kind getan hat. Die Antworten dazu finden wir möglicherweise mehr ‚innen‘ als ‚aussen‘, und ihr Handeln kann nicht unbedingt auf mechanische Weise erklärt werden. Vielleicht fühlt sich das Kind überwältigt von Ängsten, die es nicht benennen kann, oder von Frustrationen, die es nicht auszudrücken weiss.

Das bedingungslose Erziehungskonzept geht davon aus, dass Verhaltensweisen der äussere Ausdruck von Gefühlen und Gedanken, Bedürfnissen und Absichten sind:
Es geht um das Kind, das ein bestimmtes Verhalten zeigt, nicht nur um das Verhalten selbst.

Kinder sind keine Haustiere, die man dressiert und die immer gleich reagieren. Ein bestimmtes Verhalten von Kindern kann viele unterschiedliche Gründe haben, die manchmal schwer zu ermitteln sind. Wenn wir dann nur auf das äussere Verhalten reagieren, werden wir dem Kind nicht gerecht. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was das Kind im Moment so wütend, frustriert oder widerspenstig macht, und nicht einfach versuchen, die Art, wie es sein Gefühl zum Ausdruck bringt, zu unterdrücken.

Neben unseren Bemühungen, Gründe für bestimmte Verhaltensweisen zu finden und uns damit zu befassen, ist eines unbedingt erforderlich: Das Kind muss wissen, dass wir es lieben, komme, was wolle!

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